Der Wildoner Schlossberg stellt mit seiner fast kontinuierlichen, mehr als 6.500-jährigen ortsgebundenen Siedlungstätigkeit einen im Südostalpenraum einzigartigen Fundplatz dar.
Im 10./11. Jahrhundert bildete die am Schlossberg gelegene Hengistburg als Mittelpunkt der Karantanischen Mark, die Keimzelle der heutigen Steiermark. Die äußerst günstige topografisch-strategische Lage des Wildoner Schlossberges fand auch im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit hohe Wertschätzung. Im Hochmittelalter sperrten vier Burgen die hier vorbeiführende Alte Reichsstraße.
Das „steirische Geschichtsbuch“
An der Mündung der Kainach in die Mur erhebt sich der 450 m hohe Wildoner Schlossberg. Vom Umland ragt er mit auf allen Seiten steil abfallenden Flanken etwa 150 m auf. Geomorphologisch handelt es sich bei diesem Hügel um ein mehrere Millionen Jahre altes Erosionsrelikt. Die günstige strategische Lage des Schlossberges an einem verkehrsgeografischen Knotenpunkt mit Einbindung in das überregionale Wegenetz sowie die besonderen naturräumlichen Bedingungen, u. a. mit der Möglichkeit ausgedehnter landwirtschaftlicher Nutzung, machen augenscheinlich, warum eine erste bäuerliche Besiedlung bereits vor der Mitte des 5. Jahrtausends v. Chr. einsetzte. Der Wildoner Schlossberg stellt im gesamten südostalpinen archäologischen Kontext einen außerordentlichen Fundort dar. Die fast kontinuierliche, mehr als 6.500-jährige ortsgebundene Siedlungstätigkeit ist in diesem geografischen Raum einzigartig. Mehrere Grabungskampagnen des ehemaligen Landesmuseums Joanneum erbrachten in den 1980er und 1990er Jahren den Nachweis von 22 Besiedlungshorizonten, die in den Zeitraum von zirka 4600 v. Chr. bis in das 16./17. Jahrhundert n. Chr. datieren. Die enorme Menge an Fundobjekten, darunter reich verzierte Gefäßkeramik, Stein- und Knochenartefakte sowie Metallgegenstände, weist weitreichende Bezüge zu verschiedensten Kulturerscheinungen Mittel- und Südosteuropas auf. Das Fundmaterial vom Schlossberg umfasst alle archäologischen Epochen von der Steinzeit bis in die Neuzeit und dementsprechend auch viele archäologische Kulturen (z. B. die kupferzeitliche Lasinja- und Vučedol-Kultur, die frühbronzezeitliche Somogyvár-Vinkovci- und Kisapostag-Kultur oder die ältereisenzeitliche Hallstattkultur) und unterstreicht die prominente Stellung des Wildoner Schlossberges im Vergleich zu anderen bekannten Höhensiedlungen. In der Fachliteratur wurde der Wildoner Schlossberg schon 1989 treffend als „steirisches Geschichtsbuch“ bezeichnet.
Die Herren von Wildon
Die seit Jahrtausenden bewährte topografisch-strategische Lage des Wildoner Schlossberges fand auch im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit hohe Wertschätzung. Viel deutet archäologisch darauf hin, dass sich die vielgesuchte Hengistburg des 10./11. Jahrhunderts auf dem Burgberg befunden hat; und um 1170 erbauten die Herren von Wildon auf landesfürstlichem Grund und Boden im Westen des Bergplateaus die Burg Altwildon, der etwa 100 Jahre später im Osten das „novum castrum“, Neuwildon, folgte – offenbar ein Lehen der Erzbischöfe von Salzburg. Auf die Burgen Ful und Hengst auf halber Höhe des Burgberges setzten die Wildonier loyale Dienstleute. Von den beiden Hauptburgen aus – sie waren durch einen mächtigen Abschnittsgraben voneinander getrennt – griffen die Herren von Wildon im 12. und 13. Jahrhundert immer wieder kraftvoll in die steirische Landespolitik ein, insbesondere dann, wenn es galt, einen neuen Landesfürsten zu küren. Über das von ihnen bekleidete Marschallsamt übertrugen die Wildonier ihre persönlichen Wappenfarben Silber-Grün auf das Herzogtum, sie gründeten das Augustiner-Chorherrenstift Stainz als ihre Grablege, und Herrand II. von Wildon, Schwiegersohn Ulrichs von Liechtenstein, trat als Politiker und begabter Dichter hervor. Nach der Niederlage der Herren von Wildon im Adelsaufstand gegen den Habsburger König Albrecht I. 1292 setzte sich der Landesfürst in den Besitz der beiden Burgen Alt- und Neuwildon. Die Burgen wurden von Burggrafen verwaltet und bildeten in weiterer Folge das Zentrum der landesfürstlichen Herrschaft Oberwildon, die 1624 an die Fürsten von Eggenberg verkauft wurde und seither in wechselndem Privatbesitz verblieb.
Wildon in kriegerischen Zeiten
Die Häufung von Wehrbauten verschiedenen Typs illustriert die große strategische Bedeutung des Wildoner Schlossberges, die auch in den kriegerischen Ereignissen des ausklingenden Mittelalters mehrfach zum Tragen kam – etwa in der Baumkircherfehde 1469/71 und in der Auseinandersetzung zwischen Kaiser Friedrich III. und König Mathias Corvinus von Ungarn, als zwischen 1479 und 1490 große Teile der Steiermark von ungarischen Söldnern besetzt waren. Im 16. Jahrhundert war der Wildoner Schlossberg Sammelplatz für das militärische Landesaufgebot gegen die Osmanen, so dass die landesfürstlichen Pfleger große Summen in die Sicherung und den Ausbau der Burganlagen investieren mussten. So wird verständlich, warum im Jahre 1528 die Räte des neuen Landesfürsten Erzherzog Ferdinand I., des späteren römisch-deutschen Kaisers, dringend davon abrieten, den steirischen Landständen Burg und Markt Wildon zu übergeben. Von dieser günstigen Position aus, so die Räte, könnte die landesfürstliche Residenz Graz nur allzu leicht bedroht werden. Der Wunsch der Landstände, sich in Wildon eine eigene Landeshauptstadt zu schaffen, blieb somit unerfüllt.
Text: Mag. Dr. Christoph Gutjahr, Mag. Dr. Gernot P. Obersteiner MAS