Kategorie: 1. und 2. Weltkrieg

Trattenmühle

Standort: Aug 15, 8410 Wildon

1938 wurde die Guggenbacher Maschinenpapier- Fabrik Adolf Ruhmann und mit ihr die Trattenmühle von Dr. Adolf Sandner übernommen. Der Besitzerwechsel kam praktisch einer „Arisierung“ gleich. Erst 1951 wurde die Mühle nach einem längeren Rückstellungsverfahren an Karl Ruhmann restituiert.

Der jüdische Industrielle Adolf Ruhmann gründete 1853 seine erste eigene Papierfabrik, 1876 kaufte er die insolvente Sommer’sche Maschinenpapierfabrik. Adolf Ruhmanns Söhne, Moritz und Otto, traten Ende der 1880er Jahre in das „Guggenbacher Maschinenpapier-Fabrik Adolf Ruhmann“ umbenannte Unternehmen ein und erweiterten die Firma sukzessive.

1928 hatte die Fabrik, die neben der Wiener Zentrale und dem Hauptwerk in Guggenbach weitere 11 Standorte umfasste, rund 1.600 Mitarbeiter. Moritz Ruhmanns Söhne Franz, Alfred und Karl traten nach 1919 in das Unternehmen ein. Karl entwarf Bieruntersetzer aus Karton und ließ diese in der Trattenmühle erzeugen. In Wildon nutzte die Familie Ruhmann das Herrenhaus seit 1897 auch als Feriendomizil. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich galten die Brüder Franz, Alfred und Karl Ruhmann gemäß den „Nürnberger Rassengesetzen“ – obwohl katholisch getauft –als Juden. Dr. Adolf Sandner, Mitglied der NSDAP seit 1932 und ein ehemaliger österreichischer „Legionär“, drängte die Familie Ruhmann im Juni 1938 mit Erfolg zu einem Verkauf der „Guggenbacher Maschinenpapier-Fabrik Adolf Ruhmann“. Der Besitzerwechsel kam praktisch einer „Arisierung“ gleich. Sandner ließ die drei Brüder nach Zagreb außer Landes schaffen, die Zahlungen blieb allerdings aus. In großer Unsicherheit lebend, auch finanziell, flüchteten die drei Brüder nach dem deutschen Angriff auf Jugoslawien im Juni 1941 in das italienisch besetzte Dalmatien.

Als Dalmatien 1943 infolge des Bündniswechsels Italiens zu Kroatien kam, flohen die Brüder mit ihren Familien unabhängig voneinander in verschiedene Richtungen. Karl und seine Frau Katharina flohen in die Schweiz, Alfred starb 1945 in Kroatien, Franz beging angesichts der menschlichen und materiellen Verluste – viele Verwandte waren in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern ermordet worden – Selbstmord.

Nach dem Ende der NS-Herrschaft starteten Dr. Karl und Katharina Ruhmann, sowie die Witwe von Alfred, Martha Ruhmann, umgehend Bemühungen um Restitution des 1938 verloren gegangenen Besitzes. Erst nach einem fast sechs Jahre andauernden Gerichtsverfahren wurden 1951 die im Vergleich kleine Trattenmühle sowie das Herrenhaus und eine überaltete Zellulosefarik in Krems zurückerstattet. Später wurden auch noch Teile der großen Kunstsammlungen an die Familie Ruhmann zurückgestellt. Adolf Sandner wurde vor das Volksgericht beim Landesgericht für Strafsachen Graz gestellt und zu einer Kerkerstrafe von zwei Jahren verurteilt.

Die Pappenfabrikation der Trattenmühle bestand bis zum Tod Karl Ruhmanns 1972. Seine Witwe richtete 1988 in einem vormaligen Wirtschaftsgebäude das Dr. Karl Ruhmann Zinn-Museum ein.

Literatur: Elmar L. Sartorius, Nur die Zinnsammlung überlebte… Aufstieg, Verfolgung und Erlöschen der Industriellefamilie Ruhmann (1. Teil), in: Hengist Magazin 13/3 (2016), 16–23. Elmar L. Sartorius, Nur die Zinnsammlung überlebte… Aufstieg, Verfolgung und Erlöschen der Industriellefamilie Ruhmann (2. Teil), in: Hengist Magazin 14/1 (2017), 20–23.

Quellen: Verordnugns- und Amtsblatt für das Land Steiermark, 41/1946, 463.

Text: Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung

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