Kategorie: 1. und 2. Weltkrieg

Schloss Burgstall

Standort: Am Schloßberg 11, 8551 Wies

Beim Schloss befindet sich eine Gedenktafel für den 1938 von den Nationalsozialisten in den Tod getriebenen jüdischen Glasfabriksbesitzer Ing. Alfred Neumann.

Alfred Neumann wurde am 23. Mai 1882 als siebentes Kind von Netti und Moritz Neumann in Graz geboren. 1910 kam er als achtundzwanzigjahriger Ingenieur nach Wies und pachtete die Glasfabrik des im selben Jahr verstorbenen Josef Mayer von Heldenfeld. Im Ersten Weltkrieg diente Alfred Neumann in der Traindivision Nr. 3 des III. Korpskommandos als Subalternoffizier. 1918 kehrte Alfred Neumann nach Wies zurück und kaufte noch im selben Jahr die Glashütte. Er gab ihr nun den Namen „Alfredhütte“. Ein Jahr später erwarb der Ingenieur auch das in einem schlechten Zustand befindliche Schloss Burgstall in Wies und investierte große Summen in dessen Restaurierung. Seit August 1928 bewohnte Alfred Neumann das Schloss mit seiner Gattin, der gebürtigen Wieserin Anny, geb. Kaiser, auch selbst. Sie hatten am 28. März 1919 die Ehe geschlossen. An diesem Tag war die katholisch sozialisierte Anny zum jüdischen Glauben – den Glauben ihres Mannes – übergetreten.

1928 verpachtete Ing. Neumann die „Alfredhütte“ für zehn Jahre an Gustav Suchy und seinen Neffen Franz Naprstek. Neumann selbst arbeitete in der Fabrik auch in Folge noch aktiv mit und wurde weiterhin als „Chef“ wahrgenommen. Am 11. November 1932 stellten Suchy und Naprstek die Glaserzeugung in Wies ein, 120 Arbeiter und Arbeiterinnen verloren dadurch ihre Beschäftigung.

Am 12. März 1938 erzwangen zwei SA-Männer des Sturmes Wies und ein Gendarmeriebeamter von Ing. Alfred Neumann die Übergabe seines Steyr Cabriolets. Die SA-Männer erklärten Neumann, das Auto nur „ausborgen“ zu wollen, tatsächlich wurde es aber nicht mehr zurückgestellt.

Am 18. April 1938 kehrten mehrere ehemalige „Österreichische Legionäre“ aus Deutschland nach Wies zurück. Zusammen mit mehreren Gesinnungsgenossen aus Wies drangen die Burschen gegen 22.30 Uhr in die Schlafräumlichkeiten des Schlosses ein, verlangten von Alfred Neumann die Ausfolgung seines Trommelrevolvers und zerrten ihn hinaus ins Freie. 1946 sagte Anny Neumann, nunmehr Anny Felsner vor der Gendarmerie Folgendes aus: „Mein Gatte wurde darauf unter fortwährenden Beschimpfungen und Stössen bis in die Nähe des Maierhofes gebracht. Dort kommandierte man ‚links, das Grab ist für sie schon gegraben.‘ Einige Schritte von der Strasse abweichend auf einer Wiese wurde ‚Halt‘ kommandiert und die Männer stellten sich hinter meinen Gatten und schlugen sie auf ihn ein. Bei diesem Schlagen wurde irgendein harter Gegenstand benützt und ihm damit die Oberlippe ca. 2 cm volkommen [!] durchtrennt. Weiters erlitt mein Gatte durch diese Schläge noch verschiedene Verletzungen am Kopf und am Körper. Ich fand meinen Mann blutüberströmt am Boden liegend.“

Anfang August 1938 wurde der Prozess der „Arisierung“ von Alfred Neumanns Glasfabrik in Gang gesetzt. Zwecks einer Unterredung in dieser Angelegenheit erschien am 16. August der Wieser Gemeindesekretär Hans Baumgartner mit zwei oder drei Beamten der Gestapo im Schloss Burgstall. Der Ingenieur wurde, wie Anny Neumann 1946 zu Protokoll gab, „auf das Gröbste beschimpft und beleidigt und wurde dabei mehrmals auf den Tisch geschlagen. […] Nachdem die Gestapo[beamten] unser Haus verlassen haben, war mein Gatte gänzlich gebrochen und sagte er, dass er eine solche Beleidigung nicht mehr aushalte.“

Am 19. August 1938 gegen 15 Uhr erschoss sich Alfred Neumann in einem Zimmer des Schlosses mit einem Jagdgewehr.
Heute erinnert eine an der Mauer des Schlosses Burgstall angebrachte Tafel an das Schicksal des ehemaligen Besitzers.

Literatur: Markus Roschitz, Ing. Alfred Neumann und die Glasfabrik in Wies. Aspekte eines „Arisierungsfalls“, in: Jahrbuch für Mitteleuropäische Studien 2019/2020. Wien/Hamburg 2020, 219–251. Markus Roschitz, Die NSDAP in der Region Schwanberg 1930–1938 (= Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark; 85). Innsbruck/Wien 2020, 367 und 383–386. Gerfried Schmidt, Gemeindegeschichte von Limberg bei Wies. 3. Teil: Limberg in schweren Stunden. 1914–1955. Wies 2002, 92–93.

Text: Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung

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