Kategorie: Heiligtum, Römische Ansiedlung

Retznei: Vom keltischen Gehöft zum römischen Quellheiligtum

Retznei liegt am Südrand des Rosenberges, etwa 4 km südlich vom Frauenberg und unmittelbar westlich der Mur. An dieser verkehrstechnisch günstigen Lage befand sich schon in der Bronzezeit eine kleine dörfliche Ansiedlung und auch aus der keltischen Epoche wurden Reste mehrerer Gebäude entdeckt.

Bekannt ist die Fundstelle aber hauptsächlich aufgrund der römischen Bauten – zwei reich ausgestatteten Thermen sowie einem Bau, bei dem es sich aufgrund des gefundenen Weihealtars für die Göttin Fortuna Augusta um ein Heiligtum gehandelt haben dürfte.

Der Ort Retznei ist vor allem aufgrund der Steinbrüche und des dortigen Zementwerks bekannt. Dort gefundene Versteinerungen von Fischzähnen, von den Rippen einer Seekuh, Seeigeln und Krebsen stammen aus der Zeit vor etwa 15 Millionen Jahren. Neben diesen erdgeschichtlich bedeutenden Funden aus der Zeit lange vor dem Auftreten der ersten Menschen befindet sich in Retznei auch eine historisch und archäologisch wichtige Fundstelle, deren Wichtigkeit sich immer deutlicher herauskristallisiert hat.

Als wir vor im April 2004 den Spaten ansetzten, glaubte keiner an nennenswerte Ergebnisse. Das Grundstück, im Eigentum der Firma Perlmooser Lafarge, war zum größten Teil von einem Fichtenwald bestanden, und nur im vorderen Bereich, nahe der nach Aflenz führenden Straße, befand sich eine Wiese. Im ersten Schnitt stießen wir gleich auf einen massiven Mörtelboden. Dieser Estrich war noch so massiv erhalten und er lag nur 30 cm unter der Grasnarbe, dass wir voller Begeisterung die Arbeit fortsetzten. Inzwischen, nach etlichen Jahren Grabungsgeschichte, können wir den Großteil der ausgegrabenen Räume auch benennen: So wissen wir beispielsweise, dass wir damals am Beginn der Grabung das sog. Nymphäum (ein Heiligtum) freilegten. Damals war noch alles unklar und wir nahmen an, dass es sich um eine römische Villa handelt, nämlich die Anlage, von der der Grazer Archäologe Friedrich Pichler im 19. Jahrhundert bereits geschrieben hatte, und die nach dessen kurzer dreimonatigen Grabung wieder zugeschüttet wurde und in Vergessenheit geriet.
Nach den ersten Grabungsmonaten fingen wir an, den Wald zu roden, und unsere Schnitte auszudehnen. Und auch nach dem mühsamen Entfernen der Wurzelstöcke brauchten wir nur noch den Humus zu entfernen, und schon stießen wir auf 2000 Jahre alten Bauschutt. Darin fanden wir unzählige Fragmente der Wandmalereien, die fast alle Räume des römischen Anwesens geschmückt hatten, Reste marmorner Wandvertäfelungen und Verzierungen aus Stuck. Der Grundriss einer luxurösen Badeanlage zeichnete sich bald ab, und die Funde zeigten den Reichtum der damaligen Bewohner. In diesem Gebäude machten wir einen der schönsten Funde, nämlich ein Elfenbeinrelief, auf dem ein kleiner Eros dargestellt ist, der in der Hand Weintrauben hält, und der wahrscheinlich die Jahreszeit Herbst symbolisieren soll.

Nachdem wir dieses Badegebäude ausgegraben hatten, versuchten wir dessen Umgebung genauer zu untersuchen. Dabei stießen wir unmittelbar nordwestlich davon auf weitere Mauern, Böden, sogar auf Reste einer Wasserleitung, und schließlich auf einen Raum mit Mosaikfußboden. Fast alle Räume waren mit Fußbodenheizung ausgestattet und mit Wandmalereien verziert. Inzwischen wissen wir, dass es sich auch bei diesem Bau um ein Bad handelt – also bereits die zweite von uns ausgegrabene Therme!

Die Frage, warum sich in Retznei an einem Ort gleich zwei römische Thermen befanden, stellte sich bald. Aber anstatt sie zu beantworten stellten sich noch neue Fragen. Denn als wir die Möglichkeit hatten, in einzelnen Bereichen unter den römischen Fußböden noch tiefer zu graben, stießen wir auf Reste älterer Gebäude, die noch aus Holz bestanden, und die aus der keltischen Epoche stammen. Es waren dies mehrere sog. Grubenhütten, die in den Boden eingegraben waren, aber auch mindestens ein großes Gebäude in Pfostenbauweise. Da die keltischen Reste schon in der römischen Zeit zerstört worden waren, können wir heute ihre Form nicht mehr genau rekonstruieren. Klar ist, dass es mehrere Häuser waren, die in einem relativ großen Bereich verstreut waren. Viele Fundstücke, die der damaligen Zeit entstammen, helfen uns bei der Einordnung. So fanden wir in alten Abfallgruben die schon damals entsorgten Reste des Alltagslebens wie Töpfe, Schüsseln aber auch Knochen und andere Speisereste. Besonders interessant für uns sind aber die Funde, die die keltischen Bewohner verloren haben. Dazu gehören mehrere bronzene Fibeln und ein verzierter bronzener Gürtelhaken. Diese Stücke verraten uns, dass bereits die keltischen Bewohner von Retznei, verhältnismäßig wohlhabend waren.

Text: Mag. Dr. Bernhard Schrettle

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