Kategorie: 1. und 2. Weltkrieg

Retzhof

Standort: Dorfstraße 17, 8430 Wagna

In der Zeit von 1942 bis 1945 befand sich im Schloss Retzhof die „Gebietsführerschule I“ der Hitlerjugend (HJ) Steiermark. Ausgebildet wurden HJ-Gefolgschafts-, Unterbann- und Stammführer sowie Fähnleinführer des Deutschen Jungvolks (DJ).

Der Retzhof wurde 1911 vom Ehepaar Robert und Fernanda Knapp erstanden, beide verfügten rechtlich gesehen über je eine Besitzhälfte. Robert Knapp, Rittmeister außer Dienst, trat 1931 der SS und 1932 der NSDAP bei und stieg zum NS-Kreisleiter von Leibnitz auf. Diese Funktion hatte er auch noch nach dem im Juni 1933 erlassenen Betätigungsverbot für die NSDAP und deren Gliederungen inne. Die beiden Söhne des Ehepaares, Robert jun. und Carl, waren ebenfalls Teil der nationalsozialistischen Bewegung.

Beim Juliputsch 1934 spielte Knapp eine zentrale Rolle im Bezirk Leibnitz. Nach Niederschlagung dieses nationalsozialistischen Aufstandes und Knapps Verhaftung wurde dieser wegen Hochverrats zu 5 Jahren schweren Kerker verurteilt. Knapps Besitzhälfte des Retzhofs wurde beschlagnahmt und vorübergehend von öffentlicher Seite verwaltet. Im Zuge des sog. Juliabkommens wurde Knapp am 23. Juli vorzeitig aus der Haft entlassen. Nur wenige Monate später flüchtete er zusammen mit seiner Frau nach Deutschland, da er in Österreich keine Lebensgrundlage mehr sah. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 kehrte Knapp aber nicht nach Leibnitz zurück, sondern machte als hauptamtlicher SS-Führer (1943 im Dienstgrad eines Brigadeführers) in Deutschland Karriere.

Der Retzhof, der sich 1940 bereits „im baufälligen Zustand“ befunden hat, wurde nach dem Angriff Deutschlands auf Jugoslawien im Frühjahr 1941 von der Wehrmacht beschlagnahmt und kurzzeitig als Quartier genutzt. Im Jänner 1942 vermietete Knapp den Retzhof mit einer Laufzeit von fünf Jahren an die NSDAP, der auch ein Vorverkaufsrecht eingeräumt wurde sowie das Recht, den Retzhof baulich verändern zu dürfen. Davon machte die Partei auch Gebrauch – es wurde die sog. Gebietsführerschule I Retzhof errichtet. Eine zweite Gebietsführerschule gab es in der Jugendherberge Rheilandhaus Töllinghöhe (Schardorf bei Leoben). Im Retzhof wurden höherrangige HJ-Führer wie Fähnlein- und Gefolgschaftsführer für ihre Aufgaben geschult und indoktriniert. Die Leitung der Gebietsführerschule I Retzhof hatte seit 1943 der Lehrer Johann Kürzl bis zum Kriegsende 1945 inne.

1944 erschien folgender Bericht in der Marburger Zeitung über die Arbeit der Gebietsführerschule I: „Die Kriegseinsatzführer sind vom RAD befreit und arbeiten dafür bis zum Einrücken zur Wehrmacht hauptamtlich in der Hitler-Jugend als Gefolgschaftsführer und in den Stäben der Banne. Das dazu notwendige Rüstzeug wird ihnen auf einem dreiwöchigen Lehrgang an der Gebietsführerschule gegeben. Sie erhalten dort eine grundlegende theoretische und praktische Ausbildung Im Gelände- und Schießdienst, die ihnen der Geländesportlehrer der Schule, ein gedienter HJ-Führer, mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet, vermittelt. Den Sportdienst leitet der Schulführer selbst, ebenso die weltanschauliche Schulung.“ Neben der laufenden Schulungsarbeit wurde der Retzhof auch zur Abhaltung von Bannappellen und Führertagungen der Hitlerjugend Leibnitz genutzt.

Nach dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft wurde der Retzhof von Besatzungstruppen geplündert, 1946 wurde ein öffentlicher Verwalter für das Schloss eingesetzt. Ab 1. April 1948 war das Schloss, trotz ungeklärter Besitzverhältnisse, mit einer Bildungseinrichtung des Landes Steiermark belegt. Parallel dazu wurde versucht, die Nutzung des Schlosses auf eine rechtlich gesicherte Basis zu stellen, was erst 1957 durch den Kauf des Retzhofs durch das Land Steiermark gelang. Heute ist das Bildungshaus Retzhof ein Zentrum der Erwachsenenbildung.

Literatur: Lisbeth Matzer, Der Retzhof im 20. Jahrhundert. Eine Spurensuche im institutionellen Gedächtnis. 2. Auflage. Wagna 2021. Wolfgang Graf, Österreichische SS-Generäle. Himmlers verlässliche Vasallen. Klagenfurt 2012, 341–345. Hans Schafranek, Biografien steirischer NS-Akteure, in: Hans Schafranek/Herbert Blatnik (Hgg.), Vom NS-Verbot zum „Anschluss“. Steirische Nationalsozialisten 1933–38. Wien 2015, 440–535, hier 485–487.

Quellen: Die Hitler-Jugend zu Gast im Unterland. Die Gebietsführerschule Retzhof in Cilli. In: Marburger Zeitung, 22.2.1944, 3.

Text: Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung

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