Standort: St. Lorenzen ob Eibiswald
In der Zwischenkriegszeit war der Grenzstein mit der Aufschrift „Oe XVI/1 St. Germain 10. Sept. 1919“ ein beliebtes Ausflugsziel deutschnational gesinnter Revisionisten, die eine Wiedervereinigung der ehemaligen Untersteiermark forderten.
Der in den letzten Kriegstagen des Ersten Weltkriegs gegründete „Staat der Serben, Kroaten und Slowenen“ (SHS) brach die Beziehungen zur formal noch existierenden Habsburgermonarchie ab und beanspruchte das gesamte untersteirische Gebiet für sich. Der slowenische Volksrat erklärte einen Tag nach der Staatsgründung die Bezirkshauptmänner der Untersteiermark für abgesetzt. Als am 6. November 1918 sich je 20 Vertreter der Sozialdemokraten, Christlichsozialen und Deutschnationalen zur Konstituierung der Provisorischen Landesversammlung der Steiermark entschlossen, vereinbarten die Delegierten, dass „das geschlossene deutsche Siedlungsgebiet des ehemaligen Kornlandes (Herzogtum Steiermark)“ dem neuen Staat Deutschösterreich angehören soll. Die Regelung der Grenzen mit Sprachinseln wie Cilli/Celje sollte einer späteren völkerrechtlichen Regelung vorbehalten bleiben. Die von österreichischer Seite vorgeschlagene Lösung erwies sich als Wunschtraum, groß war die Ernüchterung, als am 2. Juni 1919 der erste Vertragsentwurf einer Nachkriegsregelung die Untersteiermark betreffend an die Öffentlichkeit gelangte: Auch Marburg/Maribor und Radkersburg sollten an den SHS-Staat fallen (Radkersburg wurde später geteilt). Zu einem Plebiszit über die Untersteiermark wie etwa in Kärnten kam es nicht. Mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Saint-Germain am 10. September 1919 war die Abtrennung der Untersteiermark besiegelt. Zunächst mit Pflöcken, 1921 mit Grenzsteinen, wurde die Grenze auch mitten durch das am Radlpass liegende St. Lorenzen ob Eibiswald gezogen. Der Grenzstein mit der Aufschrift „Oe XVI/1 St. Germain 10. Sept. 1919“ war ein beliebtes Ausflugsziel deutschnational gesinnter Revisionisten. Das Bild zeigt Angehörige des Deutsch-völkischen Turnvereins Deutschlandsberg mit Turnwart Hans Reinisch (in der Bilditte, hinter dem Grenzstein), dessen Lebenslauf hier exemplarisch näher beleuchtet werden soll. Reinisch wurde am 31. Juli 1896 in Deutschlandsberg als Sohn des Schneidermeisters Johann Reinisch und dessen Frau Maria geb. Faulend geboren. 1911 trat Hans Reinisch dem 1903 gegründeten Verein „Deutsche Turnerschaft Deutschlandsberg“ bei, dem er (später unter anderem Namen und mit Unterbrechungen) ein Leben lang angehören sollte. Am 15. April 1915 rückte Reinisch in die kaiserliche Armee ein und leistete im Gebirgsartillerieregiment Nr. 14 in Trient Dienst. In den folgenden Jahren widmete er sich neben seinem Beruf, dem Schneiderhandwerk, so oft er konnte dem Turnverein, wo er 1922 zum ersten Turnwart aufstieg. 1926 kaufte der Turnverein ein größeres Wiesenstück an, das nach einjähriger „rastloser Arbeit“ in einen Freiturnplatz umgestaltet wurde. Bei der Sonnwendfeier 1927 veranstaltete die deutsche Turnerschaft auf dem neuen Turnplatz tagsüber ein Schauturnen, gefolgt von Geräte- und Barrenübungen. Auch die Teilnahme bei Veranstaltungen anderer deutsch-völkischer Turnvereine, wie etwa in Eibiswald 1924 oder in Mureck im September 1927 sowie die Organisation verschiedene Ausflüge, wie eben an den Grenzstein nach St. Lorenzen ob Eibiswald, sind belegt. Über die deutschnationale Ausrichtung des Vereins und Hans Reinisch selbst konnte es keine Zweifel geben. So wird Reinisch der „Hauptverdienst“ am Zustandekommen einer „Anschluß-Kundgebung“ im November 1930 in Deutschlandsberg zugeschrieben, bei der alle örtlichen „völkischen Vereinigungen“ unter Vorantritt des Turnvereins teilnahmen. Reichisch selbst führte den Marsch mit einem Fackelzug an. Nach dem Betätigungsverbot der österreichischen NSAP galt der deutsch-völkische Turnverein Deutschlandsberg als nationalsozialistischer Tarnverein. Nach Einschätzung der BH Deutschlandsberg waren „mindestens 90%“ der Mitglieder „nationalsozialistisch eingestellt“. Reinisch selbst trat im März 1934 der SA bei und machte den Juliputsch als SA-Truppführer mit. Da er nach Zusammenbruch des Putsches nicht flüchtete, wurde vom Militärgericht Wien, Senat Graz, bereits am 7. August 1934 im Schnellverfahren wegen „Aufruhr“ zu 6 Jahren schweren Kerker verurteilt. In der NS-Zeit stieg Reinisch zum „Kreissportführer“ von Deutschlandsberg auf, am 31. Jänner 1940 erhielt er eine der höchsten Auszeichnungen der NSDAP, nämlich den sog. Blutorden verliehen. Im September 1941 wurde Reinisch zum neuen Bahnführer des Banns 552 (Deutschlandsberg) ernannt.
Heute ist diese Grenze gemessen an ihrer Überschreitbarkeit und Sichtbarkeit weitestgehend abgebaut. Einzelne alte Grenzsteine und Bezeichnungen wie Grenzlandhalle verweisen auf die frühere Präsenz dieser Grenze in alltäglichen Lebenszusammenhängen.
Literatur: Martin Moll, Die „blutende Wunde“ im Süden: Eine neue Grenze entsteht, in: Alfred Ableitinger (Hg.), Bundesland und Reichsgau. Demokratie, „Ständestaat“ und NS-Herrschaft in der Steiermark 1918 bis 1945 (= Geschichte der Steiermark; 9/1). Wien u. a. 2015, 289–316. Eduard G. Staudinger, Aspekte zum Thema „Grenzen – Grenzziehungen“ aus regionalgeschichtlicher Perspektive, in: Dieter A. Binder/Helmut Konrad/Eduard G. Staudinger (Hgg.), Die Erzählung der Landschaft. Wien u. a. 2011, 9–18. Erich Vogl, Leben mit und entlang von Grenzen Am Beispiel der steirisch/jugoslawischen Grenze vom Kriegsende 1945 bis in die 1950er Jahre. phil. DA Graz, 2009. Markus Roschitz, Hans Reinisch – „Ein Leben für das Turnen“. Unveröffentlichtes Manuskript 2022.
Text: Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung